Wo bitte geht es hier nach Disentis?
Wir schmieden zusammen noch den letzten Plan des Tages und entscheiden, heute bis 23 Uhr zu laufen, damit wir noch bis nach Sedrun kommen. Für diesen letzten Abstieg, den wir leider zu Fuss machen müssen, da Flugsperrstunde bereits eingesetzt hat, wird Lars von Yannick begleitet, während Menk und ich unsere Gleitschirme aufgrund Abwind halt mit der Gondel nach Disentis nehmen. Chlous und Lisa haben in Sedrun bereits einen Campingspot gefunden, wo das ganze Team um 22.50 Uhr sich wiedervereint. Wir geniessen Chlous' Ghackets und Hörnli und besprechen zwischen Massage und Interview für Redbull den Plan für morgen. Die Meteodienste prognostizieren eher stabile Luft im Berner Oberland, eine tiefe Basis und einen späten Start der Thermik. Somit legen wir uns 2,3 Optionen zurecht, schauen morgen, was die anderen Athleten machen und wie das Wetter sich dann effektiv entwickelt. Wir freuen uns jedenfalls alle sehr, dass wir der Heimat näherkommen! Ob wir den Heimvorteil ausnützen können, wird sich zeigen... Es wird sicherlich ein spannender Tag!Dienstag, 17. Juni 2025, 1930 Uhr, dritter Tag, von Roli
Lars geht in den Endanflug auf Disentis. Er wird die Nacht ganz vorne im Feld verbringen, umsorgt von seiner stattlichen Mann- und Frauschaft. Wieder ein Supertag für das Team Haslital! Wieder ein Tag Chrigel mit Lars. Sie sind zusammen gestartet, sie sind zusammen in St. Moritz kurz eingeschlagen, sie werden in Kürze im Rheintal zusammen landen.
Diese X-Alps sind schwer zu ertragen, als Zuschauer an den Bildschirmen während eines Neun-Stunden-Arbeitstags. Immerhin könnte der Arbeitgeber bessere Computer hinstellen, damit man vernünftig mitfliegen kann, virtuell. Aber nein, das tut der Arbeitgeber nicht. Hätten wir besser planen müssen. Ich kann nur hin und wieder ins Geschehen eintauchen. Dieses Tagebuch gründet zum grössten Teil auf diesen kurzen Überblicken. Sie sind aus unserer Haslital-Brienz-Perspektive einfach nur toll! Lars hat wieder geliefert. Gratulation allen im Team, und auch Nicola. Er hängt noch ein paar Kilometer zürück, nach seinem gewagten Hochalpenstart am Stilfserjoch, aber er ist so gut im Rennen wie zehn, fünfzehn andere. Es ist eigentlich der dritte Tag eines Häppchen-X-Alps, wohldosierte pinkelpausefreundliche Tasks. Ganz anders als früher. Aber irgendwie aufregend.
Um ehrlich zu sein: die ganzen Klettersteige und dauernden Dorflandungen in schillernden Tourismusorten interessieren mich eigentlich nicht so wahnsinnig sehr viel. Spannend für mich wäre, wo die Jungs und das Mädel aus freien Stücken hinfliegen und laufen. Das war der Urgedanke der X-Alps. Ein Pilot gegen die Alpen, von Ost nach West, mit einem Wendepunkt, damit man im Alpenbogen bleibt. Das war alles! Der Urgedanke der Fortbewegung. Nun, jetzt hatten wir drei Tage mit diesen vorgegebenen Strecken und werbefreundlichen Groundings. Tönt kritisch? Aber jetzt mal zum Geschehen, denn das war alles andere als langweilig! Und Lars, ein ausgewiesener Virtuose in sehr langen queren Alpenflügen – der kann es auch kurz!
Allgemeiner Aufbruch morgens im Spitzenpulk – ein Drittel der Piloten auf engstem Raum. Nicola entscheidet sich für einen Monsteraufstieg entlang des Stilfserjochs. Alle anderen bringen sich spät am Vormittag in grosser Höhe in Position. Es ist stabil, nord-, ostwindig. Kein Vergleich zum thermisch explosiven Rückseitenwetter gestern. Laufen und Warten. Kurz vor Mittag starten die Franzosen geschlossen, alle vier, nach dem beklagenswerten Aus von Max. Chrigel und Lars wieder zusammen am Berg. Sie sehen die Franzosen fliegen und rasch das Münstertal queren. Ein Umweg nach St. Moritz. Aber diese Mini-Tasks liegen ungünstig zu den Sonnenrouten. Man muss Kompromisse machen. Also hinterher. Pulkfliegen lohnt sich heute. Nicola muss seine Hochalpenträume begraben und auch über den Ofenpass, mit brav Rückstand.
Jetzt entbrennt wieder ein Vollgasrennen um die Landung am Schreibbrett im Schweizer Nobelkurort. Nicht weniger als elf Piloten finden sich nach leicht unterschiedlichen Routen im letzten Schlauch vor dem Endanflug auf St.Moritz, talaufwärts, mit gut Ost- und Talwindunterstützung. Lars hat sich kreativ gezeigt, überlässt aber anderen den Schwarzstift vor ihm, auch Chrigel, der solche psychologische Hygiene doch schon immer gern gepflegt hat. Sechshundert Meter hochlaufen und Chrigel und Lars gehen wieder zusammen in den Restart. Es ist ein eigentlicher Restart in die X-Alps, wie vor drei Tagen am Hahnenkamm. Vier Franzosen, drei Schweizer, drei Tiroler (zwei Italiener, ein Oesterreicher), und ein – Brasilianer! Den muss ich mir mal genauer anschauen. Aber das ist vielleicht ein Produkt dieser Bojenfliegerei in der ersten Hälfte dieser 25-er X-Alps. Er kann was, das kann niemand bezweifeln.
Über den Julier geht es in die Rheintäler. Da wird es stabil. Versuche hier und dort und Landungen und Restarts. Und jetzt sind wir also abends wieder alle zusammen! Ich weiss nicht, soll ich weinen oder jubeln? Es ist nicht wie früher – aber anders spannend. Und Lars vorne, und Nicola gleich dahinter. Was will man mehr… Aber mögen die Athleten selbst dieses Format? Man wird es hören. Mit 70 km/h Flügel an Flügel ins Goal, das ist doch eigentlich die andere Art Wettkampf. Nun, ich kann mir vorstellen, die Jungs und das Mädel (hat heute echt zugeschlagen – unbedingt anschauen!) mögen beides, sich selbst durch und über die Alpen kämpfen, im härtesten Gleitschirmrennen der Welt, und im Pulk mit den Buddies dahinfliegen und -laufen. Ich hab selbst beides gemacht, wo ich noch so jung war. Nur längst nicht so gut!
Fabienne versorgt mich bislang täglich mit tollen Berichten und Bildern vom echten Rennen. Das stelle ich immer gern hier rein. Ich bin ja bloss einer der Millionen Mediensüchtigen. Also diese Tagesberichte immer zweimal lesen – meine Notizen – und dann Fabiennes Bericht und Bilder etwas zeitversetzt.
Danke Jasmin, hochqualifizierte HF-Polygrafin und meine Tochter, für die Hilfe mit der Webseite.
Nachtrag 2045 Uhr: Simon Oberrauner ist der einzige, der zur Boje fliegt und von der Wende Disentis heute noch ins Tal gleitet. Damien, der schlagkräftige Franzose, landet um eine Winzigkeit zu tief. Lars überläuft ihn zu Fuss. wird ein fast noch leeres Schreibbrett bemalen, die Wende unterschreiben. Gut gemacht! Muss Chlaus die Pasta da hochtragen? Ich hab nicht ganz begriffen, was Resttime und Not-Moving-Time abends und morgens bedeutet. Es ist doch ein wenig kompliziert, so ein x-alps heutzutage...
Damit gut Nacht an den Bildschirmen und bis nächstes Mal, Roli