Erleben wir hier eine entscheidende Stunde? Endlich passiert etwas, am Abend eines x-alps-Tages! Die kurzen Teilstrecken haben bislang abends die Piloten in der Spitzengruppe zusammengeführt. Aber jetzt ist offenes Gelände das Ziel. Kein Wendepunkt in Sicht, keine Tallandung, kein Klettersteig. Und hier dürfen wir Lars in Führung sehen!
Zusammenfassung 5. Renntag:
Früher Start in La Fouly. Um 05.20 Uhr plant Lars loszulaufen. Kurz vor 5 Uhr klopft Menk an den Bus von Yannick, Lisa und mir. Leichte Hektik, denn Chlous, der fürs Frühstück zuständig wäre, hat offenbar verschlafen. Macht nichts, wir anderen vier managen, damit Lars und Menk doch noch pünktlich starten können. Wie die anderen führenden Athleten, steigen die beiden weiter ins Val Ferret auf, um dann einen Abgleiter in Richtung Val Veny zu machen. Yannick und ich machen uns kurz nach den beiden ebenfalls auf den Weg ins Val Veny, denn die schnellste Strecke mit dem Auto führt zurück nach Martigny, von dort über den Col de Forclaz nach Chamonix und durch den Fréjus-Tunnel auf die italienische Seite des Mont Blanc. Wir schaffen es gerade pünktlich und können Lars und Menk beim Landeanflug gleich zusehen. Kurzer Boxenstopp beim Bus und Supporterablösung. Da in Kürze der nächste und zum Glück letzte Klettersteig ansteht, wird Lars von Yannick begleitet. Inzwischen hat der Bus mit Chlous und Lisa ebenfalls das Val Veny erreicht. Sie haben die Route via Aostatal gewählt, welche ein klein wenig länger dauert, dafür spart man ein wenig Tunnel-Maut. Bevor es aufwärts in Richtung Klettersteig geht, treffen Lars und Yannick nochmals auf den Rest des Teams, um Verpflegung und das Material für den Klettersteig einzupacken. Für Lars packen wir ausserdem alle Sachen, die er für einen Streckenflug benötigt: Warme Jacke, Handschuhe, Urinalkondom, Powerbank, Kopfhörer…
Für uns Supporter steht heute ebenfalls ein herausfordernder Tag an: Nach dem TP am Klettersteig steht der TP in Les Deux Alpes an. Das sind notabene 4 Std. Autofahrt von unserem aktuellen Standort aus. Trotz grossem Aufwand und langer Fahrzeit entscheiden wir, dass es sinnvoll ist, ein Bus in Les Deux Alpes zu positionieren, um ihn dort bei Bedarf zu unterstützen. Der andere Bus fährt vorerst zum Petit St. Bernard und kann sich einen entspannten Tag machen. So machen sich kurz darauf Menk, Lisa und ich auf den Weg in Richtung Süden, während Chlous auf Yannick wartet, der vom Klettersteig mit dem Ultralight runterfliegt. Wir düsen los, machen einen ersten Stopp, um uns in einer Boulangerie mit Pain au Chocolat und Sandwichs zu versorgen und einen weiteren Stopp an einem kleinen See, der Lars bei Routenplanung extra herausgesucht hat mit dem Vermerk "schöner blauer See zum Baden, damit die Supporter nicht stinken"… Immer das Fluggeschehen im Blick, fahren wir schliesslich hoch bis nach Les Deux Alpes und haben noch Zeit, um uns etwas auszuruhen. Lang dauert es aber nicht mehr und wir beobachten auf dem Livetracking, dass Lars als erster Pilot zur finalen Querung ansetzt. Wir machen uns am Landeplatz bereit, mit ihm zum Signboard vorne im Dorf mitzulaufen und zu verpflegen. Die vier führenden Athleten landen alle fast gleichzeitig. Lars nimmt beim Landeanflug noch dem obersten Teil des Windsacks mit, der Schirm bleibt aber ganz. Es gibt jedoch ein anderes Problem: Die Fussplatte im Gurtzeug ist gebrochen, was das Beine strecken im Sitzli sehr instabil und anstrengend macht. Behelfsmässig schienen wir das gebrochene Brett mit einem Holzstück und umwickeln es mit Tape, da das viel massivere Betonklebband natürlich im anderen Bus ist. Lisa begleitet Lars ein paar hundert Meter den Westhang hoch, wo er gleich wieder startet und wie die beiden Athleten, die vor ihm in die Luft gegangen sind, aufsoaren kann. Zu Beginn noch zu viert in der Spitzengruppe mit Chrigel Maurer, Simone Oberrauner und Aaron Durogati zieht sich mit der Zeit dieses kleine Feld etwas auseinander. Die Bedingungen sind nicht immer einfach, die optimale Linienwahl anspruchsvoll. Wir sind natürlich bereits wieder auf der Rückfahrt nach Norden, der ja auch wieder ca. 4 Std. dauern wird, weil Lars in Richtung Aostatal fliegen wird. Immer wieder telefonieren wir mit Lars, geben ihm durch, wie und wo andere Athleten durchfliegen und erinnern ihn die Lufträume. Ein Vorteil ist, dass Piloten, die vom Mont Blanc herkommend, nun ebenfalls anzeigen, wo die Thermik am besten abgeht. So kann Lars mit der Zeit als Führender vorausfliegen, ohne dabei immer als "Versuchskaninchen" den anderen hinter ihm zu zeigen, wo es gut steigt oder eben nicht. So bastelt er sich Tal für Tal weiter zurück in Richtung Petit St. Bernard und ist kurz nach 20.00 Uhr bestens positioniert, um den Flug noch möglichst weit taleinwärts gleiten zu lassen. Er soart dabei nochmals im Talwind auf und kann schliesslich kurz vor 21 Uhr auf knapp 2000m neben der Passstrasse reinlanden. Der Bus von Yannick und Chlous ist kurz darauf bei ihm und auch wir sind nach über 8 Std. Fahrt wieder mit dem Rest des Teams vereint. Wie schon in den letzten Tagen gibt’s abends als Dessert nach einem tollen Flug und einer bärenstarken Leistung ein paar Kilometer Fussmarsch in wunderschöner Abendstimmung bis zu unserem Übernachtungsplatz auf der Passhöhe des Petit St. Bernard. Nach dem Eintreffen im Camp folgt der gewohnte Ablauf. Chlous macht seinen Fauxpas vom Verschlafer heute Morgen wieder gut, indem er die besten Älplermagronen kocht, die wir seit langem gegessen haben. Da unser Team den Tag heute als neue Führende abschliessen, ist natürlich das Red Bull-Media-Team nicht weit, filmen unsere dummes, aber lustiges Geschwätz beim Abendessen und interviewen Lars. Der Plan für morgen steht und wir kommen fast alle vor Mitternacht ins Bett.
Ä liebe Gruess vum ganze Team Haslital!
Fabienne
Donnerstag, 19. Juni, 1928 Uhr, fünfter Tag, von Roli
Lars vorne! Das ist die überaus gute, schöne Nachricht. Zehn Kilometer führt er vor – wem denn sonst – Chrigel. Die grosse enge Spitzengruppe, die sich noch am Morgen am Mont Blanc zusammengerauft hat, ist in die Länge gezogen. Aber jetzt gilt es, echte x-alps-Entscheidungen zu treffen!
Die Schweizer und die Tiroler haben in Deux Alpes, tief im Süden der französischen Alpen, den vier bislang fehlerfreien Franzosen die Show gestohlen. Chrigel und Lars, Aron und Simon haben einen nach dem anderen die Mitflieger auf der Strecke gelassen – leider auch Patrick – und landeten und starteten als erste im Skiresort. Der Flug vom Mont Blanc Massiv hierher war selektiv. Auch Lars ging riskant tief auf eine Querung, wurde aber belohnt. Es galt, zusammen zu bleiben. Wichtige Entscheidungen durften nicht verpasst werden. Die Arbeitshöhe war zwischenzeitlich recht gering. Weite Täler mit kräftigen Winden und niedrigen Bergen erschwerten es, rasch vorwärts zu kommen.
Jetzt haben also noch die Vier oben genannten von einstmals elf die abendlichen Thermikstunden in Angriff genommen, die längste Teilstrecke des Rennens, von den französischen Alpen über das Aosta-Tal in die Schweizer Südalpen, nach Ascona am Lago Maggiore. Hier gibt es reichlich Spielraum in der Routenwahl. Zur Stunde sehen wir, dass Lars und Chrigel unterschiedlicher Ansicht sind, wo es lang geht. Das ist spannend. Endlich, eine sehr spannende Entscheidung. Lars scheint es darauf anzulegen, das Aostatal ganz von hinten aufzurollen, morgen, die Südhänge zu nutzen. Chrigel zweigt ab in die hochalpinen Täler Richung Val d›Isere, eine ganz anders geartete Route. Lars in gemässigten Flughöhen, entlang der Täler, Chrigel über alle Berge. Chrigel hatte in seinen acht Siegen IMMER die richtige Nase. Auch heute. Zahlt es sich morgen aus?
Die Leistung des Tages sehe ich bei Damien, dem vielleicht besten der Franzosen. Gestern hat er mit Glück über den Rawilpass das Wallis erreicht und musste heute Dutzende Kilometer gutmachen, um zur Spitze aufzuschliessen. Dank der Stauwirkung am Mont Blanc Klettersteig und seinem effizienten Flugstil hat er sich zurück in die Spitze geflogen. Nicola hat Schadensbegrenzung betrieben. Nach dem Lotterie-Aus im Berner Oberland gestern ist er sauber geflogen und steht nun auch an der Wende bei Deux Alpes. Noch immer an sehr respektabler Position im vorderen Drittel der Listen. (Nachtrag: Nicolas Leistung zumsammen mit Thomas Friedrich ist eigentlich ein Tageshigh-Light. Sie stiegen morgens von der Iffigenalp zum Rawilpass auf und flogen den ganzen Tag zusammen, machten Boden gut auf die Spitze. Vielleicht die längste Tagesflugzeit? Wie auch immer: Solche Nebengeschichten abseits der Spitze gefallen mir sehr!)
Der Deutsche Christian Schugg, der sich bis gestern so gut an der Spitze hielt, hat im Wallis eine harte Landung gehabt. Hinter Martigny, möglicherweise in noch starkem Talwind, der in dieser Region einer der gefürchigsten in den ganzen Alpen ist. Er musste das Rennen mit einer Fussverletzung aufgeben.
Erfahrungsgemäss wird das Rennen von West nach Ost schneller. Die Piloten haben zeitlich jetzt Luft nach oben, schon in der Hälfte der Strecke und noch sieben Tage Zeit. Dass Lars heute abend führt, überrascht mich nicht. Er ist seit Sonntag einer der besten in diesen Hochsommerbedingungen, die wir hier und jetzt geniessen dürfen. Dass er noch kaum einen Bart für sich allein ausdrehen konnte, das war für ihn sicher ungewohnt, für uns auch. Jetzt scheint sich das mal gründlich zu ändern. Ein Detail: Ich hoffe, Ozone hat was gebastelt an Lars› neuem Leicht-U-Boot. Die Dinger penetrieren perfekt gegen den Wind, aber sie stauen die Hitze dermassen im Innern der Hülle, dass an Wettkämpfen Piloten schon aufgeben mussten, weil sie wie der Lachs im Räucherofen drin waren.
Eben den Bericht Fabienne zu gestern im gestrigen Blog zugeschaltet - immer nachlesen! Und die Bilder sind dort jetzt auch rauf.
Nachtrag. 2030 Uhr. Chrigel und Lars geben Gas, was die Kabel halten! Noch dreissig Minuten bis zum Gounding 2100 Uhr. Lars Plan geht voll auf: Er kann am Kleinen St. Bernhard Pass zum Aostatal landen und beliebig hoch wandern - oder gar noch drüber fliegen? Chrigel hat seine Hochalpenroute aufgebeben, wenigstens zum Teil und ist 15 Kilometer hinter Lars eingeschwenkt. Aron ist auch auf dem Ausgleiten zum Petit St. Bernard. Zwei der alten Schwergewichte auf Lars Fersen. Das kann ja heiter werden.